Zwischen Tradition und Innovation

 

Ob die Salzburger, Bregenzer oder Bayreuther Festspiele: was ist es, das jährlich Hunderttausende von Zuschauern an ein und denselben Ort zieht, um Musik zu hören und zu erleben? Ist es die weltberühmte Seebühne von Bregenz oder die hochkarätige Besetzung in Salzburg? Wer verstehen möchte, warum sich durchschnittlich 500.000 Wagner-Fans, die sogenannten „Wagnerianer“, um eine Karte während der fünf-wöchigen Spielzeit bemühen, wo doch das Kontingent bei 60.000 liegt, warum sie also jahrelange Wartezeiten auf sich nehmen und für ein Stück dieses musikalischen Erlebnisses astronomisch hohe Preise auf dem Schwarzmarkt zahlen, der muss auf die Anfänge und die einzigartige Geschichte der Bayreuther Festspiele zurückblicken.

Beim Namen Richard Wagner scheiden sich seit jeher die musikalischen Geister: die einen vergöttern ihn als den bedeutendsten Erneuerer der europäischen Musik im 19. Jahrhundert, die anderen finden nur schwer Zugang zu seinem harmonisch schwer angelegten „Gesamtkunstwerk“, zu dem er meist nicht nur die Musik, sondern auch Text und Regieanweisungen schrieb. Vielleicht ist es somit auch nicht verwunderlich, dass ein solcher Revolutionär mehr wollte als ein gewöhnliches Opernhaus, in dem seine Stücke aufgeführt wurden – er wollte ein kleines Städtchen, abseits von Metropolen, wo Konkurrenzdenken, Ablenkungsmöglichkeiten und Repertoirevorgaben den Spielalltag beherrschten. Also ließ sich Richard Wagner ein eigenes Festspielhaus in Bayreuth bauen, das all das umfasste, was er wollte, nämlich eine große Bühne, einen verdeckten Orchestergraben, um die Musiker quasi unsichtbar zu machen und nur akustisch in Erscheinung treten zu lassen oder den Zuschauerraum, der einem antiken griechischen Amphitheater nachempfunden werden sollte. Der Sinn dieser und anderer Erneuerungen gegenüber der üblichen Opernhäuser der damaligen Zeit war es, die ganze Konzentration der Zuhörer auf die Musik als Ganzes und das Geschehen auf der Bühne zu lenken. Es ging nun nicht mehr um pure Unterhaltung und schöne „Belcanto“-Stimmen, es ging um das intellektuelle Verständnis des Dargebotenen und das Miterleben der Gefühle der spielenden Sänger. Am 13. August 1876 fanden schließlich, nach langer Suche nach den richtigen Darstellern, die gleichermaßen hervorragende Sänger und Schauspieler sein sollten, die ersten Bayreuther Festspiele statt. Die Festspiele boten unter Wagners eigener Leitung das Musikdrama „Der Ring des Nibelungen“, welches an vier Tagen dargeboten wurde und bis heute als sein Hauptwerk gilt. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, wie das künstlerische Programm im Konkreten aussehen sollte: Werke anderer Komponisten wurden untersagt, seine Frühwerke fast unbeachtet gelassen und bis heute ist die Tradition bestehen geblieben, seine zehn Hauptwerke (z.B. „Parsifal“, „Tristan und Isolde“ oder „Der fliegende Holländer“) zu geben. Als der Schöpfer dieser neuen Idee wenige Jahre später starb, übernahm seine Frau Cosima die Leitung, die später selbst Regie führte. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Leitung immer wieder an Wagners Nachkommen weitergegeben und bis heute hält die letzte Musiker-Dynastie die Fäden der Festspiele in ihren Händen. Doch was hat sich verändert in der Zeit zwischen Cosima Wagner, und Katharina Wagner, die seit 2008 mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier die Leitung in Bayreuth übernommen hat?

Der Name Wagner ist wie ein Leitmotiv in der deutschen Geschichte, doch hat er sich in den unterschiedlichsten Systemen behauptet: 1849 war Gründer Richard Wagner überzeugter Revolutionär, ließ jedoch wenige Jahre später seine Festspiel-Stätte von König Ludwig II. finanzieren. Adolf Hitler legte 1934 in Leipzig den Grundstein für ein „Richard Wagner-Nationaldenkmal des deutschen Volkes“, heute steht jährlich die demokratische Prominenz aus der Politik auf dem roten Teppich der großen Veranstaltung. Durch all die Jahre und alle Machtwechsel hinweg, blieb die Oper. Eine neue, von Richard Wagner geschaffene, Oper.

Mit den neuen Leiterinnen soll nun eine innovationsreiche, aber auf Tradition zurückblickende - vielleicht mit mehr Feuer und weniger Asche - Ära der Bayreuther Festspiele eingeleitet werden. Erstmals wurde 2009 eine für Kinder bearbeitete Fassung des „Fliegenden Holländers“ dargeboten und auch für 2010 ist eine Kinder-Oper im Gespräch. Und da schon Richard Wagner selbst von Oper für Jedermann träumte, wagten die Schwestern etwas völlig Neues: Für die vielen Wagnerianer, die keine Karten für eine Aufführung bekommen haben, organisierten sie 2008 das erste „Public Viewing“ aus dem Festspielhaus und 30.000 Menschen verfolgten auf dem Bayreuther Volksfestplatz „Die Meistersinger von Nürnberg“ auf einer Großleinwand, die sonst für Fußballspiele genutzt wird. Die einen freuen sich, die anderen fühlen sich in ihrem elitären Denken gekränkt und möchten weiterhin ein kleiner, auserwählter Kreis derer sein, die die Neuinszenierungen Wagners erleben dürfen.

Der Interessent, der nun keine Karten für eine der Aufführungen bekommen hat und trotzdem nach Bayreuth zum „Public Viewing“ fährt, den erwartet nicht nur der Geist Richard Wagners. Er sollte sich die Schlosskirche mitten im Zentrum, das Markgräfliche Opernhaus, die historische Parkanlage-Eremitage oder den Felsengarten Sanspareil ansehen. Was es umsonst dazu gibt: Prominenz, edle Kleider, und vor allem viele Musikliebhaber mit denen man nicht nur über die Oper sprechen kann, sondern mit denen zusammen man auch die Luft des Alten im neuen Gewand atmen kann. Und wenn das getan ist, wird höchstwahrscheinlich die anfangs gestellte Frage nach dem Zauber der Festspiele zu beantworten sein.

Autorin Ekaterina Vardeli

Quellen für Reiseführer (Bayreuther Festspiele):

http://www.ad-hoc-news.de/sonntag-ddp-interview-kinderoper-bringt-frischen-wind--/de/Politik/20398600

http://www.freitag.de/alltag/0933-wagner-bayreuth-festspiele-public-viewing-tristan-isolde

http://www.dw-world.de/dw/article/0,1564,320368,00.html

http://www.freitag.de/kultur/0930-schattenfrau-bayreuth-eva-katharina-wagner

http://www.bild.de/BILD/muenchen/bayreuther-festspiele/artikel/2008/07/sehenswertes/in-bayreuth.html

http://www.beluga-group.com/de/engagement/kultur/bayreuther-festspiele/