„Eine Oase des Geschmacks und zugleich Wagemuts“ – Historischer Abriss zu den Donaueschinger Musiktagen

 

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Plakat der Donaueschinger Musiktage 2009 (Wolfgang Bosse).jpg
Eine Kleinstadt in der badischen Provinz

Was sich wohl die Einwohner der baden-württembergischen Kleinstadt gedacht haben, als im Jahre 1921 ausgerechnet in ihrer Stadt die „Donaueschinger Kammermusik-Aufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“ ausgerufen wurden. Jene Musiktage, die bis in die Gegenwart Schauplatz der neuesten Avantgarde- Bewegungen werden sollten. Kaum eine andere Stadt ist ein regelrechtes Schlagwort für Neue Musik geworden, kaum eine andere Stadt hat im 20. Jahrhundert so viele bedeutende Uraufführungen erlebt wie Donaueschingen.

Wie kam es dazu? Warum gelang es ausgerechnet diesem unbedeutenden Ort in der badischen Provinz, eine Strahlkraft zu entwickeln, die alle bisherigen Wirkungsstätten der zeitgenössischen Musik übertraf?

 

Der Anfang

Begonnen hat alles im Sommer 1920, als Willy Rehberg, Professor an der Mannheimer Musikhochschule, dem damaligen ‚Fürstlich Fürstenbergischen Musikdirektor’ Heinrich Burkard vorschlug, ein "kleines Musikfest zu veranstalten, das ausschließlich der Aufführung von Werken noch unbekannter oder umstrittener Komponisten gewidmet werden sollte". Burkhard, selbst aus einer badischen Kleinstadt stammend, war ein Schüler Max Regers und hatte vor seiner Anstellung in Donaueschingen ein Kapellmeister-Volontariat bei Hans Pfitzner absolviert. Die Voraussetzungen waren also nicht die schlechtesten.

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Ernst Krenek, Philipp Jarnach, Alois Hába in Donaueschingen
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Paul Hindemith, um 1930 (Hugo Erfurth).jpg
Es wurde ein Ehrenausschuss ins Leben gerufen, für den Namen wie Busoni, Pfitzner, Hausegger und Strauss gewonnen werden konnten. Um herauszufinden, ob sich die Idee behaupten konnte, sollten es zunächst nur drei Konzerte sein. Die Musiktage standen von Anfang an unter dem Zeichen des Experiments – in diesem Fall war es ein geglücktes. Die Aufführung der Stücke von Alban Berg, Paul Hindemith, Alois Hába, Philipp Jarnach, Ernst Krenek und weiteren – heute in Vergessenenheit geratenen – Komponisten war ein voller Erfolg.

Besonders die Uraufführung von Paul Hindemiths 3. Streichquartett op. 16 sorgte für einen Wirbel in der Musikwelt. Hier brannte sich der Name Hindemith erstmals in die Geschichte der Musik ein. Drei Jahre später wurde er selbst ausschlaggebendes Mitglied des Arbeitsausschusses. Donaueschingen muss für ihn ein ideales Arbeitsfeld gewesen sein – ihm, dem das Zusammenführen von Kunst und Volk stets ein großes Anliegen war.

Und tatsächlich galt Donaueschingen inzwischen als eine „Oase des Geschmacks und zugleich Wagemuts“ (Paul Stefan). Man fühlte hier die Idee verwirklicht, das Volk „an der Musik (besonders der neuen) zu interessieren und so die ungeheure Kluft, die zwischen Musiker und Volk gähnt, […] zu überbrücken“, wie es in einem Resumee des Ausschusses heißt.

 

Die Grenzen einer Kleinstadt

In den folgenden Jahren traten zu den „Kammermusikaufführungen“ Kompositionen für Chöre, Blasorchester und mechanische Instrumente hinzu, zudem wurde erstmals der Tanz mit einbezogen.

Doch bald stieß man an die Grenzen der Kapazitäten, welche die Kleinstadt bieten konnte. Man fühlte, dass die Aufgabe der Musikvermittlung nach einem größeren Rahmen verlangte. Die Musiktage siedelten nach Baden-Baden um, wo sie drei Jahre bleiben sollten. Das Konzept veränderte sich nicht grundlegend, vielmehr wurde die bereits vorhandene Spezialisierung auf die Gebrauchsmusik immer deutlicher, auch durch das Auftauchen von Personen wie Brecht, Weill oder Eisler und den damit verbundenen verstärkten Einbezug von Filmmusik, Bühnenmusik und Musik für den Rundunk.

 

„Neue deutsche Volksmusik“ und die anschließende Wiederbelebung

Unter der nationalsozialistischen Herrschaft kommt das Musikfest nach Donaueschingen zurück. Doch wird nun der Gedanke des Experimentierens und der Reflexion aktueller Zustände verstümmelt, Einzug halten nun Marschlieder und „Neue deutsche Volksmusik“, alles im Zeichen einer „weltanschaulichen Orientierung in der nationalsozialistischen Bewegung“, wie der ‚Reichsinspekteur für Musik’, Helmut Majewski forderte.

Nach den eher erfolglosen Wiederbelebungsversuchen der Nachkriegszeit, kommt es im Jahr 1950 zum Neubeginn. Mit dem Südwestfunk wird ein handlungsmächtiger Partner gefunden: Ihm wird die künstlerische Verantwortung übertragen, er vergibt die Kompositionsaufträge, trägt den größten Teil der Finanzen und stellt das SWF-Sinfonieorchester zur Verfügung. Eine Kooperation, von der beide Seiten aufs Höchste profitieren: die Musiktage bekommen ihre verlorengangene Infrastruktur wieder, der Südwestrundfunk verfügt über ein rennomiertes Aushängeschild.

In den 50er Jahren fehlt in Donaueschingen schließlich keiner großen Namen der internationalen Neuen Musik: Stockhausen, Boulez, Nono, Messiaens, Penderecki, Ligeti – die Liste ließe sich ins Unendliche fortsetzen. Auch John Cage bestreitet hier seinen ersten Auftritt in Europa. Neben der Erweiterung zur elektronischen Musik und der Spezialisierung auf die Orchestermusik, hält ein neues musikalisches Feld Einzug in die Musiktage: der Jazz.

 

Transkontinentale, transmediale Bewegungen

Besonders in den Sechzigern wird Donaueschingen eine Plattform für den Free Jazz. Denn hier war der Jazz tatsächlich frei und fand gleichzeitig sein Publikum, was für viele der US-amerikanischen Musiker in der Tat nicht selbstverständlich war. Es kommt zu einem intensiven Austausch zwischen Jazz und Neuer Musik – eine wechselseitige Befruchtung, die sich in vielen Werken wiederspiegelt: so konzipierte beispielsweise Krzysztof Penderecki mit ‚Actions’ ein Free-Jazz-Stück für Schlippenbachs ‚Globe Unity-Orchester’; die Begegnung strahlte wiederum in Textfeld:  
Das Globe Unity Orchestra, 1975.jpg
die USA zurück, wo der Free Jazz Pionier und Saxophonist Ornette Coleman ein Stück für klassisches Orchester namens ‚Skies of America’ schrieb.

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Briefmarke zu den 75. Donaueschinger Musiktagen.jpg
Sowohl die stilistische, als auch die räumliche Bandbreite und Reichweite wurde also immer größer und macht auch nicht an den Grenzen Westeuropas halt: Komponisten aus Asien, Lateinamerika oder Osteuropa gestalteten – wenn auch bisher in einem eher überschaubarem Umfang – die Programme mit.

Der Dialog zwischen verschiedensten Künsten, Genres und Gattungen wurde im Laufe der Jahre immer charakteristischer für die Donaueschinger Musiktage. Hiervon ist besonders die Zeit seit den Neunzigern geprägt: Stichwörter wie Video, Internet, Installation oder Performance zollen der aktuellen Kunstszene Tribut und sind heute ein wesentlicher Bestandteil des Programms.

 

Literaturempfehlung:

Josef Häusler: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen. Chronik – Tendenzen – Werkbesprechungen, Kassel 1996.