Mailand -Mehr als nur eine Modestadt

 

Hört man den Namen der Hauptstadt der Lombardei, so fallen einem wohl sofort drei Begriffe ein: die Mailänder Modewoche, die Mailänder Scala und der Mailänder Dom. Tatsächlich prägen diese Einrichtungen und Gebäude die Stadt an der Olona, doch lässt sie sich nicht allein darauf reduzieren. In Mailands langer Geschichte hat es sich zu der führenden Wirtschafts- und Handelsmetropole Italiens entwickelt. Wichtige Industriezweige im Bereich der Textil- oder Autoherstellung haben sich dort angesiedelt, und so in den 1950er und 1960er Jahren für starkes Wachstum der Einwohnerzahlen gesorgt. Zu Beginn der 1970er Jahre wohnten etwa 1,8 Millionen Menschen im Stadtgebiet von Mailand, dreißig Jahre später ist jedoch ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Heute leben etwa noch 1,3 Millionen Menschen in der Stadt selbst, viele haben sich in die Umgebung zurückgezogen.

 

Die Geschichte der Stadt nimmt schon in den Jahrhunderten vor Christi Geburt ihren Anfang. Bereits um 400 v. Chr. wurde das Gebiet um das heutige Mailand durch den keltischen Stamm der Insubrer besiedelt. Etwa 200 Jahre später, im Jahre 222 v. Chr., eroberten Römer die Siedlung, die damals den keltischen Namen Mediolanum trug. Aus dieser Bezeichnung leitet sich der spätere Stadtnamen Milan oder Milano ab. Unter der Regentschaft des Kaisers Diokletian wurde Mailand 293 n. Chr. zur Hauptstadt des Weströmischen Reiches und somit Sitz des Mitkaisers Maximilian. Im Jahre 313 n. Chr. verkündete hier auch Kaiser Konstantin nach der Einigung mit Licinius das sogenannte Toleranzedikt, das den Christen unter anderem die Freiheit des Gottesdienstes zusicherte.

 

Auch in den Folgejahrzehnten und -jahrhunderten wurde die Stadt Ziel von Eroberung und Zerstörung.

Nach einer Auseinandersetzung mit den Torre kam schließlich 1310 das Geschlecht der Visconti an die Macht. Im Jahre 1450 wurden sie schließlich durch die Sforza abgelöst.

Die Konflikte um Mailand und die Provinz der Lombardei gingen jedoch weiter. So fiel die Stadt immer wieder Franzosen und Habsburgern anheim. Unter Napoleon war Mailand ab 1797 Hauptstadt der Zisalpinischen Republik, ab 1805 des Königreichs Italien.

Im Zuge des Wiener Kongresses wurde die Stadt wieder der österreichischen Linie der Habsburger zugesprochen. Nach einem Aufstand im Jahre 1849 gehörte Mailand zum Hause Piemont, und damit zu Italien, doch erst zehn Jahre später, im sogenannten Züricher Frieden, wurde die Stadt offiziell an Italien abgetreten. Im Ersten Weltkrieg nahm die faschistische Organisation Fascio di Combattimento in Mailand ihren Ursprung. Nur wenige Jahre später startete dort Benito Mussolini seinen Marsch auf Rom. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Mailand zu einem großen Teil zerstört, konnte sich jedoch bald wieder erholen.

 

So ereignisreich die Geschichte der Stadt im Weltgeschehen ist, so vielschichtig und interessant ist auch die der Musik. Schon im antiken Mediolanum gab es ein Theater und ein Amphitheater, in denen auch Musik eine bedeutende Rolle spielte. Die unter Ambrosius weiterentwickelte Mailänder Kirchenmusik verbreitete sich im frühen Mittelalter bereits über die Stadtgrenze hinaus in viele Teile Norditaliens und erreichte schließlich sogar Rom.

Die weitreichenden Konflikte um Mailand übten jedoch einen großen Einfluss auf die musikalischen Einrichtungen der Stadt aus, und so wurden immer wieder Institutionen geschlossen, um erst später wieder neu geöffnet zu werden. Weitere Schwierigkeiten bei der Beibehaltung der Ambrosianischen Gesänge wurde durch die Entwicklung hervorgerufen, dass sich mehr und mehr Kirchen in Mailand dem Zugriff des Erzbischofs entzogen und sich Rom anschlossen. Auf diese Weise fand auch der römische Ritus in Mailand Einzug. Gefördert wurde die Musik durch die ab 1310 regierenden Visconti. Diese scharten neben Musikern auch viele andere Künstler um sich und ließen ihre Bibliothek durch musiktheoretische Texte und Musikhandschriften erweitern. Zudem gehörte der Hof der Visconti zu den Zentren der entstehenden Ars subtilior.

Im 16.Jahrhundert begannen die ersten Mailänder Orgel-und Lautenbauer mit ihrer Arbeit, zudem finden sich ikonographische Belege für eine Violine. Als Folge der Entwicklung im Instrumentenbau wurde schließlich in den 1530er Jahren die sogenannte Mailänder Lautenschule eingerichtet, die sich großer Bekanntheit erfreute.

Wichtige Komponisten des 16. und i7. Jahrhunderts sind als Besucher der Stadt dokumentiert. So hielten sich beispielsweise der junge Orlando di Lasso und Claudio Monteverdi dort auf.

Eine herausragende Stellung nimmt Mailand auch in Bezug auf die Oper ein: bereits Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die ersten Werke dieser Art aufgeführt. Ab den 1670er Jahren bemühten sich darauf spezialisierte Gruppen um diese neue Gattung. Zudem kamen Werke aus Venedig, Bologna und Rom nach Mailand.

 

Im 18. Jahrhundert entwickelte sich neben der Opernproduktion auch Gattungen der Instrumentalmusik weiter, so beispielsweise Stücke für Blas-und Tasteninstrumente. Wegweisend wurde Mailand auch im Bereich der Konzertsinfonie. Erste Werke dieser Gattung schrieben Giovanni Battista Sammaartini, Ferdinando Galimberti und Antonio Brioschi. Auch im 18.Jahrhundert hielten sich einige bekannte Komponisten in Mailand auf, wie zum Beispiel Christoph Willibald Gluck, Niccolo Jommelli, Johann Christian Bach und Wolf gang Amadeus Mozart.

Neben vielen Organisationen wie der Accademia Filarmonica entstand in diesem Jahrhundert auch eines der bekanntesten Gebäude der Stadt: das Teatro alla Scala. 1778 eingeweiht, stieg es bald zu einem der besten Opernhäuser Italiens auf. Diesen Status hält es noch heute aufrecht, obgleich es im Laufe seiner Geschichte einige Rückschläge hatte hinnehmen müssen. So wurde die Scala 1897 wegen einer finanziellen Krise geschlossen und erst ein Jahr später wieder eröffnet. Im Zweiten Weltkrieg zerstörte ein Bombenangriff das Gebäude. Seinen Namen erhielt das Teatro von der Kirche Santa Maria della Scala, die heute nicht mehr existiert, aber auch dem Platz vor dem Teatro seinen Namen gegeben hat: Piazza della Scala. Obwohl die Oper in der Scala noch immer eine herausragende Rolle spielte, wagte es das Orchester des Hauses, sich 1875 mit seinem ersten symphonischen Konzert dem Publikum zu präsentieren. Durch weitere, vom Verlagshaus Ricordi und einigen anderen Organisationen initiierte, Konzerte wurde das Interesse an Instrumentalmusik auch in dessen Folge gesteigert. Toscanini, der das Orchester in den 1920er Jahren dirigierte, erweiterte schließlich das Repertoire der Scala und führte sie damit zu Weltruhm. Auch zeitgenössische Musik hielt dort Einzug. So wurden unter anderem Werke von Carl Orff und Bela Bart6k gespielt. Auch in dem 1808 gegründeten und nach Giuseppe Verdi benannten Konservatorium wurde die neue Musik aufgenommen. So erhielt im Jahre 1969 der Corso di Composizione musicale elettronica dort seinen Platz. Gleichzeitig existieren aber noch immer Fachbereiche für Alte Musik und Lautenbau. In den letzten dreißig Jahren wurden zudem zahlreiche Orchester ins Leben gerufen: 1981 rief Claudio Abbado das Orchestra Filarmonica della Scala ins Leben, zwölf Jahre später gründeten Marcello Abbado und Wladimir Delman das Orchestra sinfonica di Milano Giuseppe Verdi. Zudem gibt es zahlreiche Ensembles für Chormusik wie beispielsweise die Polifonica Ambrosiana. Doch auch im Bereich der Popmusik und des Kabaretts hat Mailand einiges zu bieten: Ornella Vanoni, Milva, Giorgio Gaber und Enzo Jannacci.

 

Mailand ist jedoch nicht nur auf grund seiner Stadt-bzw. Musikgeschichte und seines wirtschaftlichen Status von Bedeutung. Der Erzbischofssitz hat auch in anderen kulturellen Bereichen vieles zu bieten. So beispielsweise den gotischen Marmordom, der mit der weithin sichtbaren goldenen Madonnenstatue auf der Turmspitze neben seiner imposanten Erscheinung eine weitere Besonderheit zeigt. Unter den vielen Kirchen, die Mailand sonst noch zu bieten hat, wie beispielsweise S. Lorenzo oder die romanische Sant' Ambrogio-Basilika, ist besonders Santa Maria delle Grazie hervorzuheben, in deren Museum sich das berühmte "Letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci befindet.

 

Weitere Kunstwerke, unter anderem von Caravaggio, Tintoretto und Hayez, kann man in der Pinacoteca di Brera bewundern. Die Hauptstadt der Lombardei ist also nicht nur wegen ihrer exklusiven Boutiquen und Modenschauen eine Reise Wert, sondern auch aufgrund ihrer besonderen Geschichte und ihrer Kultur.

Autorin: Judith Laznika

 

Quellen:

Das moderne Lexikon. Bertelsmann Lexikon-Verlag. Gütersloh, Berlin, München, Wien 1972. Band 11

Der Brockhaus in einem Band. F.A. Brockhaus GmbH. Leipzig 2000. 9., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage

Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzykopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Hg. v. Ludwig Finscher. Bärenreither. Kassel, Basel, London, New York, Prag. Metzler. Stuttgart, Weimar