„Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur Venedig“,  schrieb Friedrich Nietzsche (1844-1900) über die Stadt im Nordosten Italiens an der adriatischen Küste. Diese Aussage weckt große Erwartungen, die die Musikmetropole zweifelsohne erfüllen kann: Ein kurzer Blick auf die (Musik-) Geschichte Venedigs zeigt, dass die Stadt mit ihren musikalischen Institutionen einen großen Beitrag zur Entwicklung europäischer Musikkultur geleistet hat. Nicht zuletzt sind dafür die die zentrale geografische und handelspolitische Lage verantwortlich: Als bedeutender Umschlagplatz zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer sei die Stadt ein Sammelplatz aller Nationen und der Einfluss des Orients bemerkenswert gewesen, schrieb Molmenti zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Rund ein Jahrtausend lang war die Stadt als Republik Venedig eine der bedeutendsten politischen und wirtschaftlichen Mächte und eine der größten europäischen Städte, bis ihre Selbstständigkeit 1797 durch Napoleon endete.

Der Grundstein für Venedigs musikalische Blüte wurde im Jahr 828 mit dem Bau des Markusdoms gelegt: Im 14. Jahrhundert (1312) wird San Marco mit der  Ausstattung einer und später (1491) zweier Orgeln Geburtsstätte instrumentaler und vokaler Mehrstimmigkeit. Der 1403 ins Leben gerufene, aus acht Knaben bestehende Chor ist mit seinen namhaften Kapellmeistern (ab 1491: Croce, Zarlino, Monteverdi, Lotti uva.) ebenfalls zu einer festen Institution des venezianischen Musiklebens geworden. Mit der Wahl Adrian Willaerts, einem Niederländer, im Jahr 1527 zum maestri di cappella wurde die Kette ausschließlich venezianischer Kapellmeister unterbrochen. Durch die neuen musikalischen Perspektiven aus ganz Europa und die Etablierung der Venezianischen Schule brachen sich im musikalisch isolierten Venedig Neuerungen Bahn: Die venezianische Mehrchörigkeit entwickelt sich, mit Giovanni Gabrieli (1557-1612) löst sich die Musik von der Orgel in der Kirche, weltliche Musik und ihre Formen erleben einen allgemeinen Aufschwung, doch weil bedeutende Musiker weiterhin am Markusdom tätig sind, bleibt er vorerst Zentrum venezianischer Musikkultur. Als Konsequenz der Zuwendung zu neuen, weltlichen Formen im 16. Und 17. Jahrhundert, entsteht mit Monteverdis (1567-1643) L’Orfeo (1607) Venedigs erstes Musikdrama,  aus dem sich später die Oper entwickelt.

Mit der wachsenden Bedeutung der Oper nach der Pestepidemie von 1630, treten die zentrale Rolle der Kirchenmusik, und damit San Marco in den Hintergrund. 1637 wird San Cassiano, das erste öffentliche Opernhaus Venedigs, eröffnet und Venedig Vertritt seinen Vorrang als europäisches Opernzentrum vor Neapel bis ins 18. Jahrhundert.

Nachdem sich der Schwerpunkt des venezianischen Musiklebens im 17. Jahrhundert von San Marco und der geistlichen Musik in die Opernhäuser verlagert hat, nehmen im 18. Jahrhundert die vier Ospedali eine zentrale Rolle ein: Ursprünglich karitative Einrichtungen für Waisen, ermöglichte man hier Mädchen (!) seit dem 16. Jahrhundert eine musikalische Erziehung. Besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang das Konzert (sog. Akademien). Das Niveau dieser Konservatorien war im 18. Jahrhundert so hoch, dass Goethe fast schon schwärmerisch „die Musik war sehr schön, und herrliche Stimmen.“ notiert. Gleichzeitig wird Kritik an den Ospedali laut und so verstummt, wie auch auf den Opernbühnen, gegen Ende des 18. Jahrhunderts der begeisterte Beifall.

Bis zum Ende des 19. Jahrhundert scheinen kaum mehr musikalische Impulse von Venedig auszugehen, die Stadt ist vielmehr zu einem Forum italienischer Kunst geworden: Im Theater La Fenice (http://www.teatrolafenice.it/) werden die Werke bedeutender europäischer Meister gegeben, bis auf Cimarosa (1749-1801) und einige wenige andere werden keine venezianische Komponisten mehr zur Aufführung gebracht.

Doch die Aussage Nietzsches, Venedig sei der Inbegriff für Musik ist auch heute noch durchaus nachvollziehbar: 1895 wurde die Biennale di Venezia, ein zweijährlich stattfindendes mit der Architekturbiennale alternierendes, Festival für bildende Kunst initiiert, das 1930 um die Bereiche Musik, Kino, Theater und so zu einer multidisziplinären Veranstaltung erweitert wurde. Neben der Beschreibung des Festivals für zeitgenössische Musik „futuristische Musik, musique concréte, elektronische Musik mit neuesten technischen Entwicklungen, ethnische und Weltmusik“, das seit 1937 jährlich stattfindet, findet man auf seiner Homepage (http://www.labiennale.org/it/musica/index.html) weiterführende Links zu Geschichte, Programm und Künstlern.   

Mit ihren heute 28 Nationalpavillons, in denen sich einzelne Nationen präsentieren, veranschaulicht Venedig seine musikgeschichtliche Entwicklung: Einst ein elitärer, ausschließlich aus Venezianern bestehender Musikbetrieb, entwickelte sich die Stadt mit der Wahl eines Niederländers zum Kapellmeister San Marcos zu einer weltoffenen, florierenden Musikmetropole, die  sie auch heute noch ist.

Autorin: Anne Reck