Mozart, Walzer und Zwölftonmusik  - Wien und die Musik

 

Schmelztiegel Wien

 

Kaffee sei bei weitem das Unwichtigste, was zu einem guten Kaffeehaus gehöre, so schrieb der Publizist Edmund Wengraf in der Jahrhundertwende. Und tatsächlich ist die Wiener Melange im Café Griensteindl und später im Café Central nicht der Hauptgrund für die heutige Berühmtheit. Es kam wohl viel mehr auf eine

W. Groegler: Im Kaffeehaus der Taubstummen (1884)

andere Melange an: die der Gäste. Hier verkehrten Literaten wie Arthur Schnitzler oder Robert Musil, Bildende Künstler wie Adolf Loos oder Oskar Kokoscha und allerlei andere Intellektuelle. Hier trafen Persönlichkeiten unterschiedlichster Herkunft und Geschichte aufeinander, hier verabschiedete sich von alten Ideen, und entwickelte neue. Dies lässt sich ohne weiteres für die Stadt Wien an sich sagen: Denn was die Kaffeehäuser im Fin de Siècle für Wien waren, das war und ist Wien für Europa. Die Stadt ist nicht nur das unbestrittene Zentrum Österreichs [1], sondern auch eines der wichtigsten

Oskar Kokoschka: Wien vom Wilhelminenberg gesehen (1886)

 Kulminationspunkte des europäischen Kulturlebens. Die Metropole kann auf eine lange Tradition zurückblicken: jahrhundertelang war sie das Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Unter den Habsburgern erlangte sie schließlich in politischer und kultureller Hinsicht eine führende Position in Europa. Bereits zu dieser Zeit  kam der Musik eine besondere Rolle zu Teil, schließlich waren viele der Habsburger selbst ausübende Musiker bis hin zu respektablen Komponisten.

Aufgrund seiner besonderen Lage mit dem Anschluss zu Tschechien, Ungarn und der Slowakei, sowie seiner Geschichte als Vielvölkerstaat, funktionierte Wien zudem schon seit langer Zeit als Schmelztiegel für unterschiedlichste Kulturen. Es vereint im Stadtbild Orte wie Warschau, Budapest oder Prag und vernetzt sie über die zahlreichen Immigranten miteinander. Diese Einflüsse der verschiedenen Kulturen aus der Habsburgmonarchie schlagen sich nicht nur im Wortschatz des Wienerischen nieder, überhaupt ist das Wiener Leben - auch das Musikleben, ohne diesen Einfluss nicht vorzustellen. Selbst in dem, was Wiener ihr eigenstes nennen: in der Operette spielt der Einfluss der ungarischen „Zigeunermusik“ bereits bei Johann Strauss eine wichtige Rolle, die bei späteren Komponisten wie Nedbal und Kálmán immer bedeutender wird. Auch aus Italien kamen lange Zeit entscheidende Impulse in die österreichische Metropole: Die Kaiserliche Hofkapelle, die vom 16. bis ins 18. das musikalische Zentrum Wiens und zeitweise auch Europas bildete, wurde vornehmlich durch Italiener geprägt. Auf diesem Weg wurde die Oper im 17. Jahrhundert die dominierende Musikgattung, die sich von Wien aus durch seine Ensembles ihren Weg in Städte wie Prag, Regensburg und München bahnte.

 

Tradition und Volkstum

 

Den Ruf der „Hauptstadt der Musik“ erlangte Wien aber erst nach dem Zurückdrängen des Osmanischen Reiches: Die Stadt blühte auf und mit dem Wohlstand und der verbesserten Infrastruktur entwickelte sich eine immer bedeutendere Kulturszene. Der Weg war bereitet für  Mozart, Haydn, Beethoven – die Wiener Klassik. Dieser kam die bodenständige Musiktradition der Stadt enorm zu Gute. Ebenso schöpften sie aus dem Volksgut: so ist Mozarts Zauberflöte ohne das Wiener Volkstheater undenkbar. Dieser Zusammenhang ist wenig verwunderlich, denn das Volkstümliche hatte in Wien stets einen hohen Stellenwert – bis hin zum Kaiserhof: dort traten Kaiserin und Kaiser in den „Wirtschaften“ genannten Tanzveranstaltungen als gastgebendes Wirts- oder Bauernpaar auf.

Nicht umsonst stand auch das (volkstümliche) Lied im Zentrum des Schaffens von Franz Schubert. Mit seinem Tod war der Blütezeit der Musikgeschichte in Wien fürs Erste ein Ende gesetzt. So wurde die Stadt in den folgenden Jahren, wenn auch nicht zum Wohnsitz, so doch zum Reiseziel vieler bedeutender Komponisten und Interpreten. Und bis heute ist die Anziehung ungebrochen. Für die zahlreichen Touristen aus aller Welt spielen nicht nur die zahlreichen Prunkbauten, Museen [2] und Kaffeehäuser, sondern auch der Esprit der Musik vergangener Tage wohl eine nicht unwesentliche Rolle – wodurch die Musikgeschichte Wiens wie vielleicht in keiner anderen Stadt der Welt die Wirtschaft entscheidend mitprägt: Der Gesamtumsatz des Tourismus wird auf 4 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Hier hat gewiss neben den weltberühmten Theatern wie dem Volkstheater [3] und dem Burgtheater auch die Bildende Kunst und Architektur ihren Anteil: Hier ziehen Namen wie Gustav Klimt, Oskar Kokoschka oder Adolf Loos zahlreiche Kulturfreunde an [4]; In der Literatur stehen – um nur wenige zu nennen - Walther von der Vogelweide, Nestroy, Grillparzer, Hofmannsthal, Schnitzler, sowie später Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard für ein traditionsreiches Schriftstellertum, das Wien in seiner Rolle als Kulturmetropole bestärkt.

 

 

Konservatismus und Avantgarde

 

Für einen Teil der Wiener womöglich Grund genug, sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen - „Wir haben unsere Oper, Burg und Josephstadt. Dort spüit man noch den Schmäh genau wie eh und je. Da kann uns nix passieren, weil des kennen mir ja eh“, so Georg Kreisler in seiner Abrechnung mit dem konservativen Wiener Kulturbetrieb. Wien befand sich stets im Spannungsfeld zwischen Konservativismus und Avantgarde: Auf der einen Seite die Pflege des Erben der „großen Vergangenheit“, die zeitgenössischen Werken fast aus Prinzip kritisch gegeünber stand; auf der anderen Seite die Erneuerer, die fortschrittliche Suchenden nach neuen, radikalen Ausdrucksmitteln und einem ungezwungenen Umgang mit Geschichte. In diesem Zeichen stand auch der erbitterte Kampf zwischen den 'Brahmsianern' und den 'Wagnerianern' in der

Arnold Schönberg: Selbstporträt (1935)

Jahrhundertwende, bei dem durch etablierte Kritiker wie Eduard Hanslick den 'Wagner-Jüngern', zu denen Komponisten wie Anton Bruckner (traumverwirrter Katzenjammerstil“) oder Hugo Wolf gezählt wurden, eine breite, positive Wirkung in der Öffentlichkeit auf lange Zeit verwehrt blieb.

Dieses Spannungsfeld muss sich jedoch nicht immer in zwei Lager aufspalten, es kann auch in einer Person verschmelzen – wie im Falle des urwiener Pianisten und Komponisten Friedrich Gulda, der Bach- und Beethoven-Interpret, der es sich jedoch nicht nehmen ließ, auf der Bühne nackt Blockflöte zu spielen.

Gar dialektisch aufgelöst wird die Opposition aus alt und neu im Museum für Angewandte Kunst, dort lautet das Motto des Leiters Peter Noever: „Traditionelle Kunst kann nur sinnvoll vermittelt werden, wenn sie von aktueller Kunst interpretiert wird“ - und so ließ die tschechische Künstlerin Magdalena Jetelova in ihrer Installation ‘Domestizierung der Pyramide‘ in die aufwendig restaurierte Museumshalle aus der Gründerzeit tonnenweise roten Sand schütten. Dass dies im traditionsaffinen Wien nicht nur Zuspruch fand, liegt nicht besonders fern. Und doch spricht aus Aktionen wie diesen, auf öffentlichem Boden durchgeführt, ein enormer Fortschritt für die Stadt. Denkt man doch weniger hundert Jahre zurück, als Schönberg den „Verein für Musikalische Privataufführungen“ gründete, der Konzerte unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit auserwählten Gäste veranstaltete – aus Schutz vor pfeifendem und störendem Publikum, in dem es sogar nicht selten zu Schlägereien kam. Arnold Schönberg prägte mit seinen Schülern wie Anton Webern und Alban Berg die europäische Musik-Avantgarde des 20. Jahrhunderts aufs nachhaltigste, keinem der Hauptvertreter der sogenannten Zweiten Wiener Schule wurde jedoch jemals ein öffentliches Lehramt anvertraut. Schönberg sprach offen von seiner „Abneigung gegen Wien“, das für ihn vielleicht ein Zentrum der „Welt voller Feinde“ war, der er sich alleine gegenüberstehend fühlte.

Leichter Fuß fassen konnte stets der Bereich der spezifisch „wienerischen Musik“: Die Operette, das Wienerlied, die Schrammelmusik, und natürlich - der Walzer. Doch auch hier herrschte ein nicht zu vergessender Innovationswille. Und so wurde Johann Strauß, der gemeinsam mit seinem Vater den einfachen Volkstanz zur „Kunstmusik“ anhob ebenso von Johannes Brahms verehrt, der als Kommentar zu Strauß' „An der schönen Donau“ notierte: „Leider nicht von Johannes Brahms“. Wien wurde immer wieder im Lauf seiner Geschichte zum Ort von Reformen und Umwälzungen. So nahm Willibald Glucks musikdramatische Reform hier ihren Anfang, und auch Gustav Mahler stellte das Musikleben der Stadt auf den Kopf. Ihm, der ähnlich wie Bruckner seine Zeit in Wien als „Martyrium“ erlebte, gelang es jedoch, sich zumindest zeitweise in der dortigen Musikszene fest zu etablieren: als Generalintendant der Wiener Hofoper verhalf er ihr zu einer herausragenden Stellung in Europa und reformierte das mit seinen Aufführungen das Opern- und Dirigentenwesen schlechthin.

 

Eine Stadt im Wandel

 

Nach dem Ersten Weltkrieg gingen solcherlei prägende Figuren Wien immer mehr abhanden: die Erschütterungen des politischen Gleichgewichts und besonders die NS-Herrschaft führte zu einem vorübergehenden Ende der großen Kulturmetropole Wien.

In den Nachkriegsjahren konnte sich die Stadt durch die Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, Organe wie die Wiener Philharmoniker oder die Österreichischen Musikzeitschrift und der

Das Haas-Haus von Hans Hollein (Eröffnung 1990)

Präsenz von Dirigenten wie Karl Böhm und Herbert von Karajan wieder nahezu zu ihrer alten Größe entfalten. Um selbst zu erfahren, wie es sich anfühlt, am Dirigentenpult zu stehen, kann man heute im Klangmuseum „Haus der Musik“  ein interaktives Orchester dirigieren. Auch prägten Figuren wie Robert Schollum, Alfred Uhl oder Friedrich Cerha eine neue Komponisten-Generation die Stadt, unter denen die Avantgarde wieder eine entscheidende Rolle spielt. Doch auch im Bereich der Unterhaltungsmusik und der zeitgenössischen Popkultur ist Wien kein unbeschriebenes Blatt. Zahlreiche Musical-Produktionen haben von Wien aus ein internationales Publikum erobert. Ebenso international ist das Jazzland, Wiens ältester existierender Jazzclub und eines der Zentren der pulsierende Jazzszene: hier spielten bereits Größen wie die Blueslegende Big Joe Williams, Bud Freeman oder die klassischen Jazzmusikern Wild Bill Davison. Doch auch die österreichische Hauptstadt selbst bringt immer wieder Künstler hervor: Nach vergangenen Pop-Größen wie Falco sind es heute hauptsächlich DJ's, welche den Sound des jungen Wien prägen. Am liebsten finden sie sich in ungewöhnlichen Locations ein, wie im „Club Planetarium“, zu dem das Wiener Planetarium aus den 1930ern umfunktioniert wurde - manchmal sogar mit Sternenshow im Kuppelsaal. Pulsinger & Tunakan, Makossa oder Kruder & Dorfmeister heißen hier die DJ's, die Wien im letzten Jahrzehnt zur Hauptstadt des 'Downbeat' machten – jener entspannten, warmen elektronischen Musik, die jedoch hier nicht stillsteht, sondern mit ihrer Mischung auf unterschiedlichste Musikstile zurückgreift und sie remixt. „Wiener Wildstyle“ nennen sie selbst diesen Stil, und führen damit vor, wie eine vielfältige, traditionsreiche Musikstadt im 21. Jahrhundert ihren Weg fortführen kann. Wien bleibt Schmelztiegel.

 

 

 

Anlagen

 

[1] Die Hauptstadt Österreichs befindet sich im östlichen Teil des Landes und besteht aus 22 Bezirken. Mit etwa 1,7 Mio. Einwohnern auf einer Fläche von 414 km² ist sie die größte und bevölkerungsreichste Stadt Österreichs – etwa ein Viertel aller Österreicher leben in im Großraum Wien.

 

[2] So gibt es zahlreiche interessante Museen wie unter anderem das Uhrenmuseum, die Schatzkammer, das Kunsthistorische Museum und das untere und obere Belvedere. Nicht zu vergessen ist das Museums-Quartier als Wiens architektonischer Kunstraum Attraktion zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Besonders bekannt ist hier der kalksteinweiße Würfel des Leopold Museums.

 

[3] Dieses wurde im Jahr 1889 eröffnet und sollte den Bürgern eine Alternative zum eher konservativen Burgtheater sein, welches damals von volkstümlichen und komödiantischen Stücken Abstand hielt.

 

[4] Der Mittelpunkt der Stadt und ein beliebter Treffpunkt ist der Stephansdom. Nicht weit entfernt befindet sich die gewaltige Hofburg-Anlage mit ihren Plätzen und Parks, Kirchen und Museen. Sehenswert sind unter anderem die Burgkapelle in der man bei der Messe die Wiener Sängerknaben hören kann, die prunkvolle Schatzkammer, die Nationalbibliothek und natürlich die Museen, die die Schätze der Habsburger Sammlungen enthalten, zum Beispiel das Cembalo Haydns.

Das daran anschließende Herrenviertel ist für seine Palastarchitektur bekannt. Weitere historisch kostümierte Architekturen findet man in der Ringstraße, welche die Altstadt umgibt. Hier werden Führungen im Rathaus, Parlament, in der Oper und im Burgtheater angeboten. Empfehlenswert ist auch das berühmte Café Sacher mit seiner Sachertorte.

               

 

Verfasser: Ludwig Berger, Margarete Jall, Theresa Tamoszus,